Zu Gast in der Hauptstadt von Costa Rica – San José


von Manuela Rietz
Costa Rica | Reiseberichte | Städtereisen
15. April 2024
15.
April 2024

Der Blick vom Küchenfenster auf die vulkanische Bergkette ist erstaunlich. Denn heute ist der Vulkan Irazu nicht von Nebelschwaden verdeckt.

Es ist der Platz, an dem unsere Freundin Betania am liebsten bäckt. Schokoladenkuchen mit gezuckerter Kondensmilch, der Teig luftig und der Schokoladenüberzug cremig, dabei nicht zu süß. Mich tröstet der Kuchen, denn ich sitze fest. Meine Berliner Freundin Ines und ich wollen mit Beta ihren 60. Geburtstag feiern. Doch kurz nach unserer Ankunft wird mir schwindelig, ich bekomme keine Luft mehr.

Betania, die als Lehrerin für Portugiesisch arbeitet, kennt viele Leute. Sie ruft eine ihre ehemaligen Studentinnen an. Paula ist Kardiologin. Sie kommt sofort. Ist unglaublich jung, hübsch und sehr ernst. „Du hast eine Lungenembolie“ sagt sie und dann geht alles ganz schnell. Ich komme auf die Intensivstation des katholischen Krankenhauses von San Jose und überstehe dank exzellenter Behandlung alles gut. Und wieder ist Paula sehr ernst. „Du darfst nicht fliegen, acht Wochen musst Du bleiben“. Für Beta ist es absolut klar, dass ich bei ihnen wohne, bis ich gesund bin. Ich komme nicht weg aus San José.

Eine lächelnde Frau mit Stirnband und Schürze steht in einer Küche mit Holzschränken und einem Herd im Hintergrund.

Die Hauptstadt Costa Ricas: San José – mehr als eine Durchgangsstation

San José ist für mich immer eine Durchgangsstation gewesen. Wegen des internationalen Flughafens beginnt hier jede Reise, bevor ich in die reizvollen Gegenden dieses so schönen Landes weiterziehe. Die Hauptstadt von Costa Rica ist wuselig, es stinkt nach Abgasen, die Straßen sind stets verstopft vom lärmendem Verkehr – keine Konkurrenz für die atemberaubende Berglandschaft, den geheimnisvollen Regenwald oder die Küste. Für mich hält San José eine unauffällige Stellung im Hintergrund.

Das erste Mal bin ich 1993 in Costa Rica. Schuld ist Ines, Freundin und Archäologin. Sie und ihr Mann entdecken in einem kleinen Dorf, drei Stunden von der Hauptstadt entfernt, Steine mit Felsbildern – Petroglyphen. Und als wäre das nicht schon Grund genug für eine Reise, haben sie Familienanschluss und werden bekocht. Ein fröhlicher erster, sanfter Ökotourismus in der Gegend nahe San Isidro de El General.

Ines infiziert den Freundeskreis mit ihren farbenprächtigen Schilderungen von Steinen und Menschen und so helfen wir anfangs beim Katalogisieren der Steine und sind dann schließlich alle drei bis fünf Jahre wieder da, so wie unsere Budgets es uns erlauben. Damals, beim ersten Besuch auf der Finca Sonador, ist auch Betania dort auf einer Stippvisite. Sie und ihr Mann Vito wohnen in San José. Vito interessiert sich als Ethnologe für das Dorf und seine Bewohner. Ein sympathisches Paar. Die interessantere von beiden ist Beta. Bescheiden, herzlich und aufgeschlossen –  schon damals mit unermüdlicher Leidenschaft für’s Kochen. Immer, wenn wir in der Folgezeit nach Costa Rica kommen, klopfen wir zuerst an ihre Tür, erholen uns vom langen Flug. Wir bleiben zwei Tage und fahren dann weiter ins Land. Vor einigen Jahren haben sich Vito und Beta getrennt. Beta blieb in San José und mit ihr unsere Freundschaft.

Jetzt liegen acht Wochen San José vor mir, in denen ich gesund werden muss und viel Zeit habe. Bevor Ines in zwei Tagen wieder nach Hause fliegt, erkunden wir Betas Wohngegend.

Skulptur aus goldenen Schmetterlingsflügeln am Eingang eines von Bäumen gesäumten Parkwegs, mit einem grünen „Museo“-Schild auf der rechten Seite.

Im Stadtteil Desamparados unter Guayababäumen

Betania wohnt seit zwei Jahren in Desamparados, einem grünen Stadtteil im Süden der Hauptstadt San José. Ihr Kiez trägt den Namen Guayabo und hat diesen offenkundig von der gleichnamigen Frucht. Tatsächlich duften die Guayaba-Bäume mit ihren grünlich-weißen Früchten am Straßenrand. Sie stecken voller Vitamine und werden gern für die Zubereitung von Säften verwendet.

San José liegt 1170 Meter über dem Meeresspiegel, Guayabo liegt noch etwas höher als das Zentrum, so dass es hier kühler ist. Davon, dass die Hauptstadt 340 000 Einwohner hat, merkt man hier wenig. Es ist ruhig, der Verkehr fließt gemächlich.

Wir suchen einen Geldautomaten und werden in einem Bio-Frischemarkt fündig. Nur leider reagiert das Teil nicht auf uns. Ein wenig ratlos fragen wir die geübt hantierende Frau in dem hübschen Kleid, die nach uns Geld holen will, ob wir ihr über die Schulter schauen dürften. Wir wären auch harmlos, ohne böse Absichten. Sie nickt gleich. Sieht man ja auch. Es erleichtert uns, dass die Maschine einfach leer ist. Später stellen wir fest, dass man mit internationalen Kreditkarten nur an ausgewählten Geldautomaten

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, die sich direkt an Bankfilialen befinden, Geld ziehen kann.

Die Straßen hier in dieser grünen Gegend schlängeln sich hoch und runter – der Vulkan Irazu ist etwa 50 Kilometer entfernt.  Wir sind mitten in der Regenzeit – gegen Mittag haben wir 25 Grad, es ist es warm und feucht. Die beste Reisezeit ist der Oktober nicht. Aber es regnet nur wenige Stunden am Tag und die Vegetation ist sogar am Straßenrand prächtig. Die üppig wuchernden Bougainvillea leuchten karminrot.

Zum Kaffee sitzen wir mit Beta und ihrer Tochter Ayna zusammen. Ayna war in der Stadt unterwegs und erzählt, dass es deprimierend ist, wie viele venezolanische Familien mit ihren Kindern auf der Straße leben. Vor zwei Tagen erst kamen wieder 1000 Flüchtlinge, weil die USA den Aufenthaltsstatus für Venezolaner verlängert haben. Jetzt sind viele Venezolaner in Costa Rica auf der Durchreise. Die Stadtverwaltung ist völlig überfordert, Ayna und ihre Mutter macht das traurig. Der Abend hat dennoch ein fröhliches Ende. Morgen will Betania einen typisch costaricanischen Kuchen backen, Tres Leches, ein saftiger Milchkuchen – mit gezuckerter Kondensmilch, natürlich.

Unterwegs auf der Avenida Central – der Haupteinkaufsstraße von San José

Betas Tochter ist 24 und studiert Medizin. Für die Abschluss-Fiesta des dritten Studienjahres sucht sie schicke Schuhe. Dass aber vor allem ihre Mutter das pulsierende Leben auf dem Boulevard im Zentrum genießt, merke ich, als ich ihre lachenden Augen sehe. Sie freut sich über die Menschen, die links und rechts an uns vorbeischwirren. Verlaufen kann man sich hier eigentlich nicht. Gefühlt sind in San José alle Straßen Einbahnstraßen – sie sind angeordnet wie auf einem Schachbrett. Es gibt Alleen (Avenidas), die verlaufen von Ost nach West – und Straßen (Calles), die führen von Nord nach Süd.

Besonders im Zentrum herrscht gerade am Nachmittag Verkehrschaos. Die Fußgängerzonen sollen das etwas entwirren, so wie die Avenida Central, auf der wir unterwegs sind. Es ist die Haupteinkaufsstraße der Stadt. Betania ist glücklich, es könnten noch mehr Menschen sein.

An diesem Boulevard strahlen auch viele Gebäude aus der Kolonialzeit der Stadt. Das Teatro Nacional ist das beeindruckendste historische Gebäude. Das Wahrzeichen San Jose wurde 1897 erbaut und wer möchte, kann stündlich an geführten Touren teilnehmen.

Fassade eines neoklassizistischen Gebäudes mit dekorativen Skulpturen und dahinter scheinender Sonne, umgeben von einem verzierten Metallzaun, unter einem klaren blauen Himmel.

Die Bronzestatuen „La Chola“ und „Al Viento“ von Manuel Vargas

Eigentlich will Beta noch Fisch für das Mittagessen kaufen, aber an der Vorderseite des Gran Hotels, bleibe ich unwillkürlich vor einer riesigen Frau aus Bronze stehen. Wir mögen sie beide, schon weil sie rund ist. „La chola“ ist eine Skulptur des Künstlers Manuel Vargas aus Guanacaste. Sie wurde 2004 von der Stadtverwaltung aufgestellt und ist Teil des Projektes „Kunst auf öffentlichen Plätzen“.

Beta erzählt mir, dass man früher die Frauen und Mädchen aus Guanacaste, die nach San José kamen, um als Dienstmädchen zu schuften, „la chola“ nannte. Manuel Vargas wollte ihnen, die ihre Familien fürs Geldverdienen zurücklassen mussten, ein Denkmal setzen. 2017 brachte er die Zwillingsschwester der Skulptur gegenüber der Notaufnahme des öffentlichen Krankenhauses in Position. „Der Wind“ ist 2,8 Meter hoch und damit wesentlich größer als die erste Figur. Die Bronzeskulptur hat einen 60 cm hohen Sockel und ist noch besser zu sehen. Für Vargas sind es eben die dicken Frauen, die Stärke verkörpern – genau dieser Typ sei in Guanacaste vertreten, über Dünne könne er keine Erfahrungen vermitteln. Gefällt uns sehr und macht einen fröhlichen Eindruck. Gern lassen wir uns davor fotografieren.

Ayna zeigt auf das schon erwähnte Gran Hotel. Es war das erste Hotel, das in San José gebaut wurde. Von 1928-1930 errichtet. gehört es zum historischen Ensemble der Innenstadt und ist seiner umfassenden Rekonstruktion und Modernisierung wegen eher etwas, auf das die Jüngeren stolz sind. Zwischendurch bestellt Ayna ein Uber-Taxi für uns. Die kosten etwa ein Drittel der normalen Taxis und rollen zuverlässig überall hin. Beta hat noch etwas im Krankenhaus zu erledigen. Dorthin könnten wir auch laufen – aber Beta und Ayna wollen mich nicht zu sehr anstrengen. Ich taste mich jeden Tag ein bisschen weiter vor und habe Respekt vor längeren Wegen. Vom Krankenhaus aus laufen wir wieder zurück auf die Avenida Central, zum Mercado Central. 

Zwei Frauen mit Masken stehen neben der Bronzestatue einer stehenden Figur auf einem städtischen Platz.

Lecker speisen in der Markthalle am Mercado Central

Die wunderbare alte Markthalle ist 1880 entstanden und beherbergt in ihren engen Gassen über 200 Verkaufsstände, darunter auch klitzekleine Bistros, in denen man landestypisch isst. Hängende Heilpflanzen, Badeschwämme verschiedener Größen, Sombreros und riesige Töpfe – an jeder Ecke wartet eine andere Überraschung. Der Geruch von frittierten Pasteten und frischem Fisch zieht an uns vorbei. Wir machen eine Pause. An einem Nachbartisch versucht eine Frau ohne Erfolg ihren zwei Kindern die Coca Cola auszureden. Wozu habe man schließlich die Frescos aus den Früchten von hier. Himmelherrgott. Geschimpft wird nicht, das tun die Ticos kaum mit ihren Kindern.

Eine traditionelle costa-ricanische Mahlzeit mit Reis, Bohnen, Salat, frittierten Kochbananen und Fisch, serviert auf einem Metallteller, dazu eine Flasche Imperial-Bier.

Shopping in der Multiplaza Escazu 

Beta kauft für unser Mittagessen am nächsten Tag Thunfisch und wir kommen zum eigentlichen Ziel unseres Ausflugs – High Heels für Ayna. Das Stöbern in den kleinen Läden auf dem Boulevard ist viel einfacher, als ich dachte. Die Geschäfte sind dicht an dicht. Schon im dritten Schuhparadies findet Ayna ein Paar elegante Pumps für ihre Fiesta. Sie strahlt, der Preis stimmt auch. Jetzt sind wir pflastermüde, bereit für einen Cafesito, ein Käffchen.

Die Familie feiert viel. Deshalb suchen wir Tage später für Lua, den Sohn von Beta, einen feinen Schlips. Wir fahren ins Multiplaza Escazu, eine super moderne Shopping Mall mit hippen Cafés, kleinen Restaurants und Läden verschiedener Modeketten. Es ist eine Mischung aus amerikanischer Shopping Mall und A 10-Center. Betania fährt nur unter Protest hin – es ist proppenvoll, „aber welcher normale Mensch fährt da auch am Wochenende hin“, stöhnt sie. Die kleinen Märkte mag sie lieber. Lua ist begeistert von einem blau-grau getupften Schlips und – vom Shopping-Center.

Exotische Urwaldpflanzen direkt vor dem Wohnzimmerfenster

Vor dem Wohnzimmer-Fenster meiner Freundin liegt ein grüner Teppich, der nach Urwald aussieht. Ganz rechts blüht eine zwei Meter hohe Bougainville. Im Garten stehen in schöner Zufälligkeit einige Vertreter der wundervollen Pflanzenwelt Costa Ricas. Eine Orchidee blüht blassrosa, zu Betas Freude, das erste Mal in diesem Jahr. Die Monstera ist so riesig, dass sie morgen gestutzt werden muss – immer noch groß genug, um der Lieblingsplatz von Katze Delgado   zu bleiben.   In ihrem Schatten – etwas bescheiden – eine echte Aloe Vera.

Manchmal schwirren Kolibris um ihre Blüte herum. Es gibt etwa 500 Arten der Aloe, aber nur die echte Aloe, die keinen Stamm hat, ist eine Heilpflanze. Ich kann mich erinnern, dass ich auf der Finca Sonador vor Jahren bei einem Sonnenbrand Aloesaft auf die Haut gestrichen bekam. Mit 12000 registrierten Pflanzenarten wird Costa Rica übrigens auch als „Garten Amerikas“ bezeichnet. Der Grund dafür sind die verschiedenen Klimazonen, die in dem kleinen Land dicht bei einander liegen.

Mich begeistert immer wieder, dass man Pflanzen, die sich sonst bei uns auf Fensterbänken oder in Gewächshäusern wohlfühlen, hier ganz unspektakulär und prächtig in der freien Natur findet. So wie den blutroten Hibiskus, der vor Betas Haustür steht. Der Strauch ist etwas größer als ich, hat gerade einige seiner Blüten abgeworfen und ist immer noch schön. Als ich einige Schritte weiter ins Dickicht laufe, entdecke ich direkt Boden blass- violette Blätter mit kräftigen Streifen, die Zebrapflanze. Wie ein dichter Teppich ziehen sie sich einen Abhang hinunter. Die Unterseite ist kräftig violett. Die Temperaturen, die hier meist um 24 Grad liegen, scheinen ihr gut zu bekommen. Die Lieblingspflanze von Beta ist die gelbe Marguerite, die ich noch nicht gesehen habe.

Dass ich nach acht Wochen wieder reisefähig bin, liegt wohl auch daran, dass ich bis dahin noch in einen Schönheitssalon verfrachtet wurde, eine kleine Abendwanderung mit der Familie unternehme und mit vielen kulinarischen Köstlichkeiten verwöhnt werde. Und das alles in der Durchgangsstation San José.

Leuchtend rosa und grüne Ti-Pflanzen in einem üppigen Garten mit gesprenkeltem Sonnenlicht, das durch die Bäume darüber fällt.

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